• Rolf Schmid «Echt jetzt?»
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GOLDMANNS KLASSIKER

Gonzagas Aventador

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Der Himmel über Turin ist an diesem Nachmittag bedeckt. Es ist kurz vor fünf, als der weisse Lamborghini des Prinzen auf den breiten Kiesweg vor dem Palazzo einbiegt. Pünktlich wie immer. Gräfin Orsinas Herz pocht wild. Sie ist mehr als entzückt und tropft bereits wie ein Kieslaster. Der Zwölfzylinder ihres Liebsten rollt vor die Thuyahecke, röhrt noch einmal heiser fauchend auf, bevor er röchelnd verstummt. Flügeltüren fliegen auf und Hettore Gonzaga, der Prinz von Guastalla schwingt sich, so elegant es halt geht, aus dem stomilinienförmigen Geschoss. Er trägt einen, nach der langen Fahrt natürlich etwas zerknitterten, ecrufarbenen Leinenanzug und wie fast immer seine Patek Philippe. Ganz die alte Schule, angelt er sich vom Beifahrersitz seines Aventador noch einen Strauss Freesien und eine Schachtel mit Konfekt aus Pinerolo und nähert sich dann mit schwungvoll ausholenden, erwartungsfreudigen Schritten dem barocken, vermutlich von Filippo Juvarra erbauten Palazzo, auf dessen ausladender Eingangstreppe ihm die Gräfin Orsina mit wehenden Haaren und ausgebreiteten Armen bereits entgegenfliegt. Amore mio, finalmente!

Natürlich hat der Prinz die dreihundert Kilometer Autostrada von Guastalla nicht unter die Räder genommen, um mit der schönen Orsina zum Apéro Konfekt zu knabbern, einen Milano-Torino zu schlürfen und Prosciuto di Parma zu probieren, sondern um mit der Gräfin zu vögeln. Und das, obwohl in seinem Kopf, ja sogar in seinem Herzen längst eine ganz andere den Platz Orsinas eingenommen hat – aber halt noch nicht in seinem Bett.

Er wird diese andere, die natürlich um einiges jünger und schöner ist, aber nicht in die Kiste kriegen, wie wir ja wissen. Dafür wird bekanntlich deren besorgter Vater, Odoardo Galotti sorgen, indem er seine Tochter Emilia umbringt. Kurzerhand und eigenhändig. Ein äusserst interessanter aber auch ziemlich eigenwilliger Lösungsansatz. Für den Prinzen natürlich in jeder Beziehung eine sehr unbefriedigende Wendung. Ein richtiges Trauerspiel, könnte man sagen. Aber seine Sportwagen-Sammlung wird ihn über den Verlust wohl bald hinweg trösten. Und die Gräfin Orsina? Sie hat dem unbewaffneten Vater Emilias, ihren eigenen Dolch gegeben, ja richtig aufgedrängt hat sie ihm die Mordwaffe, was im Nachhinein natürlich nicht besonders schlau war und sie ausserdem zur Komplizin macht. Marchese Marinelli, ein enger Vertrauter des Prinzen, fasst es so zusammen: «Sie hat zu den Büchern ihre Zuflucht genommen; und ich fürchte, die werden ihr den Rest geben.»

Prequel zu Emilia Galotti von Gotthold Ephraim Lessing

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