Hors saison. Ein Restaurant mitten in Frankreich. Das Mobiliar könnte auch aus einer heruntergekommenen Quartierbeiz sein. Die Platzteller sehen aus, wie mundgemalt von Marc Chagall. Irgendwie ist hier alles ein Tick zu dunkel. Ausserdem riecht es im ganzen Raum gerade penetrant nach Petrolium oder Linoleum.
Und da kommt auch schon die Chefin. Sie hat eine Frisur wie Ziggy Stardust, trägt eine karminrote Kunstlederjacke und dazu einen schwarzen Jupe. So aufgebrezelt verbreitet sie den strengen Charme einer Provinz-Domina. Der Koch, ist das Kontrastprogramm. Schmale Brille, graue Locken, um die sechzig, eine seltsame Melange aus gestandenem Chèf de Cuisine und depressivem Gelegenheitsalkoholiker. Er schaut alle paar Minuten durchs kleine Fenster der Küchentüre. Nach links und nach rechts. Er mustert die Tische. Ab und zu verlässt er die Küche und rauscht wie ferngesteuert apathisch an den Tischen vorbei durch den Raum und verschwindet. Wenig später kommt er, wortlos wie er gegangen ist, wieder zurück, rauscht wieder an den Tischen vorbei und verschwindet in seiner Cuisine.
Im Restaurant spielt man derweil Grand Hotel. Die beiden Serviererinnen haben sich in etwas zu enge schwarze Hosenanzüge gezwängt und sehen darin aus wie Flugbegleiterinnen einer Billig-Airline. Offensichtlich sagt es ihnen niemand und sie selber sehen es auch nicht. Vielleicht gehören sie auch zu den Menschen, die, egal was sie anziehen, immer etwas unvorteilhaft aussehen. Sie sind auch nicht für die Optik da, sondern für den Service.
Fixe Abläufe, klare Regeln. Wer bekommt welchen Tisch, wer serviert den Hauptgang, wer öffnet den Wein. Man ist stolz auf das etwas ritualisierte Getue, das gehört schliesslich dazu und stützt den Mythos: Ja so speisen chez nous die besseren Stände. Neben einer Säule, natürlich nicht angelehnt!, steht jetzt die schlankere der beiden Flugbegleiterinnen. Ihr Blick gleitet lautlos und ununterbrochen wie der Scheinwerfer eines Leuchtturms über die Tische. Langsam dreht sich der Kopf von links nach rechts und zurück nach links. Hier, schnell, Wein nachschenken! Dort, sofort eine Bestellung aufnehmen! Keine Sekunde gähnt ein leer gegessener Teller vor dem Gast. Was sie wohl denkt, die Leuchtturmfrau, angespannt wie sie da steht: Jetzt bloss keine Fehler machen! Sonst kommt die Kunstlederjacke mit der Peitsche und macht die Leuchtturmfrau so klein wie einen Putzeimer.
Hier steigen sie ab, die pensionierten Philologen, Biologielehrer und Musik-Therapeuten aus der Schweiz, die jetzt mit Zeiss-Fernglas, Pflanzenatlas und allerlei praktischem Krimskrams bewaffnet ihrer Liebe zu den wildwachsenden Orchideen (Cypripedium calceolus) Ausdruck verleihen. Eine muntere Truppe und nicht dumm. Reden am Tisch selbst nach der Käseplatte und der dritten Flasche Saint-Emilion noch in verschachtelten Sätzen und zitieren Cicero fehlerfrei und ungefragt. Aber zu fröhlich darf es dann doch nicht werden und zu lang darf es auch nicht dauern, denn die Exkursion – vom Philologen wahrscheinlich sogar mit c geschrieben – beginnt am nächsten Morgen um halb acht. Und zwar pünktlich.
In der anderen Ecke des Raumes sitzt eins dieser rätselhaften Paare und schweigt sich eisern an. Kanns ja mal geben. Aber schon den dritten Abend in Folge? Essen und trinken und sagen kein Wort. Irgendwann ist fertig, was nie angefangen hat und steht sie auf. Dann schiebt er ebenfalls den Stuhl zurück und verlässt ein paar Schritte hinter ihr das Restaurant. Man bekommt schon beim Zuschauen schlechte Laune.