Kommissar Casparis’ erster Fall
Reto Casparis fuhr mit dem Velo zur Arbeit. Es war schweinekalt an diesem Oktobermorgen. Er hatte die Handschuhe Zuhause vergessen und war etwa so motiviert wie eine rumänische Nutte im strömenden Regen. Der Ledersattel seines alten Tour de Suisse-Velos war feucht, die Kette rostig und hinten fehlte die Luft. Schon etwas peinlich für einen von der Kantonspolizei, das mit dem Führerausweisentzug. Wenigstes arbeitete er nicht bei der Verkehrs-, sondern bei der Kriminalpolizei. Und heute waren die drei Monate zu Ende. Wie immer war er auch an diesem Morgen etwas zu spät. Und wie immer interessierte es eigentlich niemanden. Ausser Max Scheiwiler. Der neue Chef mit der windschnittigen Frisur und dem schlechtsitzenden Tweed-Jacket schaute seit Punkt acht im Minutentakt auf die Uhr und war entsprechend gelaunt, als der Kommissar eintraf. «In Bad Horn beim Hotel haben sie einen aus dem See gefischt.» Das wars. Mehr sagte Scheiwiler nicht. Mehr gabs auch noch nicht. Ausser dass der Tote Peroni hiess und ein Angestellter des Hotels gewesen sei. Ein Unfall allem Anschein nach. Viel Papier, keine Action. Genau solche Fälle bekam Casparis. Einer kippte vom Bootssteg, zwei Asylanten lösten ihre Probleme mit dem Rüstmesser, ein pensionierter Bauer prügelte seine Frau spitalreif. Das war kein spannender Film Noire mit Veronica Lake. Das war das Leben. Armselig, schäbig und traurig. Aber Casparis hatte jetzt keine Zeit, über die Abgründe des Lebens und die Untiefen seiner Existenz nachzudenken.
Zehn Minuten später sass der Kommissar bei Brüniger vom Kriminaltechnischen Dienst im Auto und musste den Schweizer Klassiksender hören. Von Frauenfeld bis Bad Horn. Dreiviertel Stunden, eine Zumutung. Dazu erzählte Schorsch Brüniger vom seinem gelungenen Wochenende mit Sarah in Ascona und liess natürlich nichts aus. «Reto, s’Bescht chunnt jo no, weisst du was ich ihr auf dem Mercato in Cannobio gekauft habe?» Wen interessierte es. Das war sogar noch langweiliger als die Goldberg Variationen gespielt von einem Chinesen.
Endlich da. Casparis atmete hörbar aus. Brüniger freute sich. Und während der Chinese Johann Sebastian gnadenlos weiter drangsalierte, bereitete Schorsch routiniert den grossen Auftritt vor: Er wuchtete den Spurensicherungskoffer und das Stativ aus dem Auto und hängte sich die schwere Nikon um den Hals. Ja das machte was her. In seiner schwarzen Lederjacke sah er jetzt tatsächlich beinahe aus wie einer seiner Helden: Ein verwegener Profiler aus einer Netflix-Serie. Leider zog er dann noch seine Ray-Ban-Pilotenbrille an und überschritt damit – wie so oft – den schmalen Grat zwischen cool und lächerlich.
Casparis hatte sein Notzibuch in der Jackentasche und stand längst auf dem Bootssteg. Die Hoteldirektorin und der Chef de Service stellten sich vor. Peroni lag zwischen dem Ausflugsschiff des Hotels und der Hafenmole im kalten Bodenseewasser. Verheddert in einer Bootsleine bewegte er sich an der Oberfläche und schaukelte rhythmisch im Takt der Wellen. Die Direktorin, der Chef de Service und Casparis standen einfach da und schauten. Nur der Tote bewegte sich. «Ein kleiner Totentanz,» ging es Casparis durch den Kopf, «oder vielleicht: Peroni’s Boot?» Ja genau, Peroni’s Boot, so würde er diesen Fall nennen. Die Direktorin hielt die tatenlose Stille nicht mehr aus: «Furchtbar, das ist alles so furchtbar schrecklich. Ich kann es einfach noch gar nicht glauben, ausgerechnet Maurizio, so ein flotter Kerl. Ein richtiger Sonnenschein. Er war mit seinem italienischen Charme so beliebt bei unseren Gästen und auch im ganzen Team.» «Ja das schon», sagte Thorsten Müller knapp. Er war Chef de Service und somit auch Peronis Chef. «Hätte halt vielleicht mal einen Gang runterschalten sollen, der gute Peroni.» «Was runterschalten?», fragte Kommissar Casparis. «Ja, mit dem Trinken halt. Hat oft nicht gewusst, wann genug ist.» Das konnte Casparis aus Erfahrung nachvollziehen. Er hatte bei einem guten St. Emilion manchmal auch ziemlich Mühe, den Korken wieder in die Flasche zu drücken.
Auf dem Deck des Ausflugschiffes tauchte der Kapitän auf. Er schaute auf den Peroni herunter und schüttelte den Kopf. «Sie haben die Leiche gefunden?» – «Ja.» – «Wann war das genau?» – «Halb sieben.» – «Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen?» – «Nein.» – «Vielleicht etwas Ungewöhnliches?» – «Nichts.» – «Aha. Ja vielleicht kommt Ihnen ja doch noch etwas in den Sinn. Ich habe Zeit. Ich erwarte Sie in einer Viertelstunde im Restaurant.» Während die Spurensicherung den Steg absperrte, die Mole und das Boot untersuchte, ging Casparis ins Hotel-Restaurant und befragte das Personal. Ohne Erfolg. Dem Chef de Service fiel nicht viel ein. Er hatte nichts gesehen und gehört, nichts bemerkt und nichts geahnt. Peroni habe gestern ganz normal gearbeitet. Am Firobig, um etwa halb zwölf habe er sich vorne auf dem Hotelparkplatz noch eine Zigi angezündet und sei dann wie fast jeden Abend zu Fuss gegangen. Der Kapitän der Emily, Martin Berger, blieb bei seinen einsilbigen Antworten: Ja, nein, kann sein, weiss nicht, schon möglich. Vielleicht hatte er etwas zu verbergen, vielleicht auch nicht. Wo er war zur Tatzeit? Nicht hier. Woanders. Zuhause. Allein. Casparis wollte schon aufgeben und aufstehen als die Türe schwungvoll aufflog. Wie herausgefallen aus einer luxuriösen Sportwagen-Werbung stand er da: Frisur, Sakko, Masshemd, Dresswatch, Schal, Hose, Schuhe – alles perfekt aufeinander abgestimmt. «So zieht sich doch kein normaler Mann an», dachte Casparis. Dr. Dave Kaufmann war aber durchaus normal, ein Stammgast, der immer wieder mal mit seiner Segeljacht von Deutschland nach Bad Horn kam. Ob Kaufmann etwas aufklären oder sich einfach nur aufspielen wollte, wurde Casparis bis zum Schluss nicht klar. Um halb eins, so Kaufmann, habe er einen heftigen Streit gehört. Ganz sicher sei er aber nicht. Vielleicht sei es auch nur das Geschrei der Möven gewesen. Um das herauszufinden habe er dann das Licht gelöscht und sei ans Fenster gegangen. «Und?», fragte Casparis gespannt. Nein, gesehen habe er leider nichts. War ja klar. Nach einer Stunde klappte der Kommissar sein Notizbuch zu. Er hatte kein einziges Wort geschrieben. Was auch? Dass niemand etwas gesehen hatte, konnte er ja auch im Kopf behalten.
Auf der Mole und am Steg war mehr los. Inzwischen waren auch zwei Polizeitaucher da. Sie mussten die Leiche bergen und suchten anschliessend den Grund des Hafenbeckens ab, fanden aber nichts, bis auf das Telefon, das dem toten Peroni aus dem Hosensack geglitten sein musste und unter ihm auf dem Seegrund lag.
Einen Tag später lag das iPhone bereits im Revier vor Casparis auf dem Tisch. In einem sauber beschrifteten Plastikbeutel. Dazu ein paar Ausdrucke und ein Stick mit geretteten Daten: Ein paar Adressen, ein paar Textnachrichten, die zuletzt gewählten Telefonnummern. Vor allem eine Nummer hatte Peroni in den letzten Tagen häufig gewählt. Sie gehörte einer gewissen Nina Rosetti, welche eine Weinhandlung in Romanshorn besass. Interessant. Noch interessanter fand Kommmissar Casparis aber ihre private Adresse. Es war die selbe wie vom Chef de Service. Eine Stunde später standen sich der Kommissar und Nina Rosetti in der Weinhandlung in Romanshorn gegenüber. «Aber hallo!», dachte Casparis als er die Weinhändlerin sah. Dann riss er sich aber zusammen, erinnerte sich an den Grund seines Besuchs und zückte Notizblock und Stift. Doch bevor er etwas fragen konnte, legte sie schon los: «Ich und Peroni? Ja hat Ihnen das denn niemand gesagt! Ich hatte halt ein Verhältnis mit Maurizio. Eine kurze Affäre.» Casparis sagte nichts. «Ist bald ein Jahr her. Ich dachte, es sei auch für ihn etwas Spontanes, war es aber nicht. Er hat sich Hoffnungen gemacht. Und mich immer wieder bedrängt. Vor allem in den letzten Wochen. Er kam einfach nicht drüber weg.» – «Ja meinen Sie, dass er am Ende sogar selber ...», spekulierte Casparis. «Nein, nein, auf gar keinen Fall! Obwohl – man weiss ja nie, was in einem Menschen wirklich vorgeht.» Das war auch besser, dachte der Kommissar, der Mühe hatte sich in der Nähe der attraktiven Sommelière zu konzentrieren und selber an Spontanes dachte. «Und was sagte ihr Partner zu der ganzen Geschichte?», wollte Casparis wissen. «Meine Güte, natürlich war Thorsten damals eifersüchtig, ist ja logisch. Aber dann wars ja vorbei. Und heute, ich weiss nicht. Ich kann nicht in ihn hineinsehen, Sie müssen ihn schon selber fragen!»
Das hätte der Kommissar gerne gemacht. Er fuhr ins Hotel am Bodensee und fragte an der Reception nach dem Chef de Service. Aber der war nicht da. War nicht zur Arbeit erschienen, hatte sich auch nicht krank gemeldet. Thorsten Müller war weg. «Und seit wann ist er weg?» – «Ja seit heute Morgen», entgegnete das nette Fräulein an der Réception. «Und jetzt ist neunzehn Uhr dreissig! Und mich anzurufen, ist Ihnen nicht in den Sinn gekommen?» – «Ja, da haben Sie eigentlich recht ...» Thorsten Müller war untergetaucht. Casparis telefonierte mit Frauenfeld und liess nach dem Chef de Service suchen. Signalement. Fahndung. Sachdienliche Hinweise. Sofort. «Sofort? Jo wohrschiinlich, Casparis! Es ist halb acht! Morgen ist auch noch ein Tag», tönte es von Frauenfeld. Vielleicht wusste ja die schöne Nina noch etwas mehr. Wo ihr Partner sein könnte zum Beispiel. Vielleicht war er ja doch eifersüchtiger, als sie sagte. Sehr viel eifersüchtiger. Da die Weinhandlung schon geschlossen war, fuhr der Kommissar – ganz spontan sozusagen – direkt zur ihrer privaten Adresse. Das lag auf der Hand und ausserdem auf dem Heimweg. Er hoffte auf nichts. Denn an manchen Tagen wusste Casparis alles schon vorher. Und heute war so ein Tag.
Natürlich war niemand Zuhause. Es brannte kein Licht und auch auf sein Klingeln regte sich nichts. Es war stockdunkel. Casparis kletterte über den morschen Holzzaun und schlich durch den etwas verwilderten Garten zur Rückseite des Hauses. Dunkel auch da. Natürlich hatte er eine Taschenlampe dabei und natürlich waren die Batterien erschöpft und leuchteten etwa so hell wie ein nasser Adventskranz. Aber es gab sowieso nichts zu sehen. Da! Plötzlich hörte er einen Klingelton. Ganz deutlich. Und noch einmal. Das Handy musste auf der Vorderseite des Hauses sein. Das war es auch, es lag auf dem Beifahrersitz in seinem Wagen. Es war Frauenfeld: Der untergetauchte Chef de Service war wieder aufgetaucht. Und zwar wortwörtlich.
Der Hafen vor dem Hotel war von Scheinwerfern taghell erleuchtet. Im Hintergrund lag die Emily vor Anker und es sah es aus, wie am Set von Fitzcarraldo. Volles Programm. Sogar Scheiwiler war da. Als Casparis den Chef sah, dachte er an Kinski in Hochform und prompt legte Scheiwiler los: «Hueresiech, gopfridstutz Casparis! So en verdammte Schissdäck! Hätte man das nicht – hast du das denn nicht kommen sehen, heinomol! Zwei Tote in zwei Tagen! Wie stehen wir jetzt da in den Medien, in der Presse?» Scheiwiler sah offensichtlich wieder einmal seine politischen Ambitionen gefährdet. Mit einem frechen: «Die Öffentlichkeitsarbeit ist nicht mein Problem, Max», liess Casparis den Chef auf der Mole stehen und ging nach vorne zum Steg. Die Polizeitaucher waren gerade eingetroffen, die Spurensicherung war ebenfalls schon da. «Déjà Vue!», rief Schorsch Brüniger gutgelaunt zur Begrüssung. Und in der Tat, es war alles so wie vor zwei Tagen bei Peroni. Aber jetzt war es der Chef de Service, der mit den Wellen tanzte. Am Steg stand die fassungslose Direktorin und an der Reling des Schiffs der wortkarge Kapitän. Auch diesmal hatte er den Toten entdeckt. Wieder suchten die Taucher den ganzen Grund ab. Diesmal nichts. Kein Telefon und auch sonst nichts. Bei der Autopsie im Kantonsspital St. Gallen würden sie wohl dasselbe herausfinden wie bei Peroni, nämlich nichts: Keine sichtbare Fremdeinwirkung, von der Mole oder vom Steg gefallen oder gesprungen, den Kopf angeschlagen, Wasser in der Lunge, Feierabend. Zwei Tote in zwei Tagen an der genau gleichen Stelle und immer war der Kapitän als erster am Tatort. Der Kommissar beschloss, ihn genauer unter die Lupe zu nehmen. Diesmal befragte er den ihn im Salon auf dem Schiff. Der Kapitän gab an, bis etwa etwa halb elf Uhr im Maschinenraum zu tun gehabt zu haben. Der Motor habe bei kalten Temperaturen immer herumgezickt. Wahrscheinlich wegen des Ventilspiels. Als er das Schiff verlassen habe, so gegen Viertel vor elf, habe er unter dem Steg den Toten gesehen. Gehört habe er nichts. Die ganze Zeit nicht. Habe auch ständig den Motor wieder laufen gelassen und geschraubt. «Wissen sie, unten im Maschinenraum hört man sowieso keinen Mucks.» Der Kapitän war redseliger als beim ersten Mal. Machte ihn das jetzt weniger verdächtig? Sein Alibi war wie letztes Mal hauchdünn. Die ganze Zeit im Maschinenraum, allein. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.
Als Casparis das Schiff verliess, stand auch Nina Rosetti am Hafen. Mit Tränen in den Augen. Sie brachte kein Wort heraus. Verständlich. Ihr Partner lag tot im Wasser. «Wir können später miteinander reden», sagte Casparis, «ich melde mich morgen bei Ihnen und ja, herzliches Beileid.»
Der Kommissar dachte nach. Am liebsten hätte er die Emily verhaftet. Aber die Emily war ein Boot. Das hätte Scheiwiler wahrscheinlich den Kopf gekostet. Und dem Tagblatt zu einer erstklassigen Schlagzeile verholfen. «Thurgauer Polizei verhaftet Boot.» Casparis beschloss, das Boot den Rest der Nacht zu observieren. Nach einem Absacker, doppelter Espresso mit Calvados in der Hotelbar ging er ins Zimmer, welches ihm die Direktorin als Aussenposten zur Verfügung gestellt hatte: Eine Junior Suite im ersten Stock mit Seeblick. Inzwischen war es bald zwei Uhr. Die Scheinwerfer waren abgebaut, die Leute weg. Der Hafen lag wieder leer und still in der Nacht am See. Casparis rückte einen Stuhl auf den kleinen Balkon, setzte sich und wartete auf den nächsten Akt. Wie in einer Theaterloge. Er hatte einen lichtstarken Feldstecher dabei, eine Thermoskanne voll Kaffee aus der Hotelküche und diesmal auch die Handschuhe. Er konnte sie brauchen, denn er wartete lange. Vier Uhr zehn. Casparis war durchgefroren wie ein Zanderfilet aus der Tiefkühltruhe. Er hörte die Wellen und das nervöse Flattern der Fahnen im Hafen. Ab und zu eine Möve und dann wieder nur die Wellen. Halb fünf. Schritte. Endlich! Eine Gestalt mit Kapuzenjacke bewegte sich Richtung Emily. Sie trug etwas. Eine Schachtel oder eine kleine Kiste. Casparis duckte sich tiefer hinter das Geländer, um nicht gesehen zu werden. Schon verschwand der dunkle Umriss samt Kiste auf der Emily. Wann, wenn nicht jetzt! Der Kommissar sprang auf, stürmte ins Zimmer, die Treppen hinunter, vorbei an der leeren Réception, durch die Halle, durchs Gartenrestaurant, zum Hotelhafen, die Mole entlang bis zum Steg. Schon war er an Bord der Emily. Jetzt schaltete er einen Gang zurück. Eine Türe war offen. Aus der Kombüse hörte er Geräusche. Sie kamen von weiter unten, aus dem Vorratsraum. Er zog seine Waffe, schlich leise durch die Schiffsküche und pirschte sich Stufe um Stufe die steile Treppe hinunter. Zuerst sah er den Kapitän mit dem Gesicht zum Weinregal. Er wurde mit einer Waffe in Schach gehalten. Die Kapuze stand keine zwei Meter entfernt mit dem Rücken zu ihm. «Kantonspolizei Thurgau –», weiter kam der Kommissar nicht. Die Kapuze drehte sich blitzartig um und schoss. Nina. Während Casparis rückwärts gegen die Eisentreppe krachte, griff sich der Kapitän eine Flasche, stürzte sich auf die Frau und schlug ihr mit dem Barolo die Beretta aus der Hand. Bei Casparis ging das Licht aus.
Es klopfte an die Türe von Zimmer 205 im Kantosspital Münsterlingen. «Herein», presste Reto Casparis hervor. Sein Bauch schmerzte. Max Scheiwiler trat ein, legte seinen Mantel ab, nahm einen Stuhl und setzte sich ans Bett. «Also Reto! Du bist schon ein Siebesiech!", begann Scheiwiler kopfschüttelnd mit einem Grinsen, «hast uns wieder einmal alle im Dunkeln gelassen! Und selber längst gewusst, was gespielt wird!» Casparis war verwirrt und es war nicht nur das Morphin. «Was mich einfach Wunder nimmt», fuhr Scheiwiler fort, «seit wann dir klar war, dass die Rosetti hinter allem steckt?» Casparis schmunzelte vielsagend. Er hatte keinen blassen Schimmer, wovon Scheiwiler sprach. «Sie hat beide Morde gestanden. Peroni war hinter den Schmuggel gekommen und hatte sie in den letzten Wochen erpresst. Also musste er weg. So weit, so logisch.» Casparis nickte. «Was wir aber nicht verstehen», fuhr Scheiwiler fort, «wieso sie ihren Partner, Thorsten Müller ebenfalls tötete.» «Mhm», machte Casparis und spielte auf Zeit. «Möglicherweise», rätselte Scheiwiler, «ging ihm der Mord an Peroni zu weit und er wollte aus dem ganzen Ding aussteigen. Oder drohte sogar, Nina Rosetti zu verraten.» «Ja genau», schummelte der Kommissar weiter. «Also, du unterbrichst mich, wenn ich falsch liege», fuhr Scheiwiler fort, «Nina Rosetti wollte gestern alles im Alleingang machen. Normalerweise lief es aber so: Wenn die Emily für eine Dinnerfahrt gebucht war, lieferte die Weinhändlerin ihrem Freund die Drogen, wasserdicht in Weinkisten verpackt. Dieser brachte die Kisten dann auf das Schiff und versteckte sie im Vorratsraum. Das fiel niemandem auf, da er als Chef de Service ja auch den ganz normalen Wein an Bord brachte. Mitten auf dem See aktivierte er die GPS-Sender und warf die Kisten im Dunkeln über Bord. Jemanden anderes mit einem zweiten Schiff, einer Jacht, sammelte die Kisten dann ein und brachte sie nach Deutschland.» – «Stimmt genau!» – «Wir haben keine Ahnung wer. Und Nina Rosetti kennt die Person ebenfalls nicht.» – «Aha», erwiderte der Kommissar, der langsam begann, den Fall zu verstehen.
Der Südwind blähte die Segel von Dr. Dave Kaufmann‘s Jacht «Barolo». Er fuhr mit 8 Knoten auf Kurs 340 Richtung Deutschland. Ohne Fracht. Der blinkende Punkt auf seinem GPS-Display lag diesmal nicht auf dem See, sondern in Frauenfeld. Er wusste wieso. Was er nicht wusste, dass ihm schon bald jemand auf den Fersen sein würde.