• Rolf Schmid «Echt jetzt?»
    DIES UND DAS VON HIER UND ANDERSWO

    TEXTE & NOTIZEN

  • Rolf Schmid «Echt jetzt?»
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Ein hoffnungsloser Fall
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Die Bar ist voll und es ist laut. Sie stolpern zur Tür rein und sind zu fünft. Alle erstaunlich gut gelaunt und auffallend schlecht gekleidet. Davon nimmt in der Bar aber niemand Notiz. Es ist kurz nach Mitternacht und der Dresscode scheint sich gerade irgendwo zwischen zwanglos und stillos eingependelt zu haben. Die Mädchen und ihre Männer machen also keine Ausnahme. Sehen alle aus, wie wenn sie bei einem Wanderzirkus arbeiten würden. Die Vorstellung ist aus, die Manege leer, jetzt haben sie ...

Bună ziua!
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Am Ende der Strasse, mitten im glühenden Nichts Sardiniens taucht der Bauernhof auf. Verlassen in der Mittagshitze. Gleich dahinter versperrt ein massives Eisentor die Weiterfahrt zur Sehenswürdigkeit. Im Rückspiegel taucht er auf, ganz klein und wird schnell grösser, wie wenn er auf diesen Moment gewartet hätte. Dann ist er da, sein Einsatz. »Proprietà privata«, sagt er durchs heruntergelassene Seitenfenster und »cinque euro«, sagt er auch noch, wie er es schon so oft gesagt hat. Eine abgetragene ...

Good old new York
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Hochsommer in Manhattan. Ich war wieder zu spät aufgestanden, rauchte eine Zigarette zum Fenster hinaus und machte mich dann auf den Weg. Ich überquerte die 5th Avenue, nahm bei der Central Station die Metro und fuhr runter bis zur Canal Street. Als ich dort ausstieg, hatte ich vergessen, was ich hier wollte und weshalb ich jetzt eigentlich da war. Das erinnerte mich an meinen Grossonkel Leonhard, der 1964 zur Landesausstellung nach Zürich fuhr. Oder an »À bout de souffle«, den Klassiker von Jean-Luc ...

Das Lachen der anderen
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Es ist noch früh am Morgen. Die beiden Frauen sitzen im Zug und reden. Sorgfältig, langsam und leise. Die Worte sind gewählt, die Stimmen gedämpft, die Gedanken scheinen schön und wichtig. Mit anderen Worten, es tönt so aufgesetzt empfindsam wie eine Moderation auf DRS 2. Dann schaut die eine der beiden unvermittelt auf ihr Smartphone und lächelt still in sich hinein: ihr Partner wünscht ihr einen schönen Tag. Ist das nicht schampar schön?

»Es sind doch immer wieder die kleinen Dinge des ...

Frauengeschichten
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Da ist sie wieder. Sie ist gross, schlank und attraktiv. Sie gefällt mir, sehr sogar. – Leider hat sie nicht alle Tassen im Schrank. Man ahnt es bereits auf den ersten Blick und nach dem zweiten ist es klar: Sie hat einen Sprung in der Schüssel. Das ist zwar schade, macht sie aber keineswegs weniger begehrenswert. Im Gegenteil, etwas Schlagseite wirkt bei Frauen ja nicht selten anziehend. Auf mich zumindest. Und aus einer gewissen, sicheren Distanz. Und natürlich nur am Anfang einer Beziehung.

Nicht ...

Liegen bleiben
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Da liegen sie also, einer neben dem andern, am kleinen Strand vor dem Lido. Sie schauen nicht weg, sie schauen einfach in eine andere Richtung. Aufs Meer hinaus, in die unendliche Weite. Es ist ruhiger als sonst, die Strasse hinter dem Strand ist heute gesperrt. Ein Carabineri winkt und erklärt. Dann nähert sich der Zug. An der Spitze der Pfarrer im Ornat. Sancta Maria ora pro nobis nunc et in hora mortis nostrae beten die alten Frauen. Nonnas wie aus neorealistischen Filmen, mit schwarzen Kopftüchern ...

Viktor & Vladimir
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»Money is not the problem. I have money«, sagt Vladimir. Viktor sagt nichts. Wahrscheinlich hat auch er hat keine Probleme. Aber offensichtlich auch keinerlei Sprachkenntnisse. Das kümmert ihn wenig, denn Geld ist schliesslich eine Sprache, die man auf der ganzen Welt versteht. Die beiden Russen sind zum Tauchen nach Sardinien gekommen, direkt von Zypern, fliegen Ende Woche nach Kenia weiter und eine Woche später nach Grenoble. Na klar, wer gut verdient, hat auch einen guten Urlaub verdient. Das ...

Euphemismus
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Man sollte einem Führer nie blind folgen. Weiss man ja. Neu vielleicht, dass diese Binsenweisheit auch für Reiseführer zutrifft. Wenn da steht: offen, kanns also durchaus auch geschlossen sein und mit links abbiegen kann auch rechts gemeint sein. Alles halb so wild, man ist ja im Urlaub und also in einem fernen Land und also tolerant gestimmt. Auch dem Autor gegenüber, denn, so einen Führer zu schreiben, ist ja sicher gar nicht so einfach. Man will den Reisenden neugierig machen auf tausend Sachen ...

Leben ist leiden
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Sehen alle so aus, als hätten sie irgendwas falsch gemacht im Leben. Oder noch schlimmer, es zu spät bemerkt. Und so laufen sie dann rum in ihren Ferien. Irgendwie enttäuscht, mit kurzen Hosen und langen Gesichtern. Ja, das Leben ist ganz schön ungerecht und die Empfehlungen des Reiseführers auch alle nur halb so schön. Zwei Wochen haben sie gebucht. Da müssen sie jetzt durch. Wieder mal das kurze Ende erwischt. Sie sind es gewohnt. Und haben es schon so verinnerlicht, dass ihnen vielleicht sogar ...

Manger chez nous
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Hors saison. Ein Restaurant mitten in Frankreich. Das Mobiliar könnte auch aus einer heruntergekommenen Quartierbeiz sein. Die Platzteller sehen aus, wie mundgemalt von Marc Chagall. Irgendwie ist hier alles ein Tick zu dunkel. Ausserdem riecht es im ganzen Raum gerade penetrant nach Petrolium oder Linoleum.

Und da kommt auch schon die Chefin. Sie hat eine Frisur wie Ziggy Stardust, trägt eine karminrote Kunstlederjacke und dazu einen schwarzen Jupe. So aufgebrezelt verbreitet sie den ...

EIN STRAUSS NEUROSEN
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Kommissar Casparis’ tiefster Fall

Seit zweienhalb Stunden sass Komissar Casparis zerknittert wie ein alter Sitzsack in seinem Wagen mitten im Nebel und beobachtete den Eingang des heruntergekommenen Wohnblocks in Arbon. Es war Freitag und es war Feierabend. Ausserdem war der Fall längst abgeschlossen. Herrgott nochmal, wieso konnte er die alte Geschichte nicht endlich auf sich beruhen lassen! Immer wieder griff er nervös zum Feldstecher und nahm das Ende der schmalen Zufahrtstrasse ...

GOLDMANNS KLASSIKER
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Der Himmel über Turin ist an diesem Nachmittag bedeckt. Es ist kurz vor fünf, als der weisse Lamborghini des Prinzen auf den breiten Kiesweg vor dem Palazzo einbiegt. Pünktlich wie immer. Gräfin Orsinas Herz pocht wild. Sie ist mehr als entzückt und tropft bereits wie ein Kieslaster. Der Zwölfzylinder ihres Liebsten rollt vor die Thuyahecke, röhrt noch einmal heiser fauchend auf, bevor er röchelnd verstummt. Flügeltüren fliegen auf und Hettore Gonzaga, der Prinz von Guastalla schwingt sich, so ...

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